Über Umkehrhaltungen im Yoga.

Umkehrhaltungen sind im Yoga die Stellungen, bei denen der Kopf tiefer ist als das Herz. Dies erreicht man nicht nur in spektakulären Asana, wie dem Hand- oder Kopfstand, sondern auch in Asana wie beispielsweise der Position des Kindes (Balasana), in der die Höhe der Hüfte den Kopf in eine tiefere Position bringt als das Herz.

Sobald der Kopf in einer tieferen Position als das Herz ist, wird das Herz – Kreislauf – System entlastet und die Durchblutung im Gehirn gestärkt, da das Blut im Körper nicht gegen die Schwerkraft in den Kopf fließen muss. Die erhöhte Blutzufuhr ins Gehirn stärkt die Konzentration und gibt neue Energie.

Umkehrhaltungen verändern zudem den Druck auf die inneren Organe im Bauchraum, wodurch das Verdauungssystem angeregt wird. Auch die Beine, die natürlicherweise im Alltag der tiefgelegenste Teil des Körpers sind, werden bei Umkehrhaltungen entlastet.

Umkehrhaltungen haben aber nicht nur eine positive Wirkung auf den Körper, sondern beeinflussen auch den Geist und die Emotionen auf positive Weise. Alle Asana der Gruppe der Umkehrhaltungen haben grundsätzlich eine ähnliche Wirkung. Je nachdem, wo eine Besonderheit einer Asana wirkt, kann sich die Wirkung der jeweiligen Asana im Detail von der Gruppe leicht unterscheiden. Im Folgenden sind die Wirkungen der Asana – Gruppe der Umkehrhaltungen beschrieben:

Körperliche Wirkung.

  • Kräftigung der Hände, Arme und Schultern: Umkehrhaltungen stärken die Hände, Arme und Schultern, was für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sehr wichtig ist und oft vernachlässigt wird. Sobald Babys nämlich aufhören zu Krabbeln und Anfangen zu laufen, wird dem Unterkörper viel mehr Beachtung geschenkt als dem Oberkörper. Die Kräftigung der Schultern und des Schultergürtels ist aber grundlegend für die Stabilität im Oberkörper und eine gesunde Körperhaltung von Kindern.
  • Dehnung der kompletten Körperrückseite von Nacken und Schultern über den Rücken bis zu den Beinrückseiten: Gerade während der Wachstumsphasen sind sanfte Dehnübungen für Kinder und Jugendliche wichtig, denn wenn die Knochen wachsen, geht dies oft zu schnell für die Muskulatur. Dies führt zu Verkürzungen der Muskulatur, die dann zu Spannungen im Körper führen.
  • Entspannung der Rückenmuskulatur und Entstauchung die Wirbelsäule: Gerade bei Schulkindern, die selten noch den Schulweg zu Fuß oder mit dem Fahrrad bewältigen und stundenlang in der Schule auf meist rücken-unfreundlichen Schulmöbeln sitzen, die auch größentechnisch nicht immer passend sind, ist die regelmäßige Entspannung der Rückmuskulatur wichtig. Auch Ranzen, die je nach Schulform zwischen 5 und 15 kg wiegen belasten den Rücken von Kindern im Alltag extrem.
  • Gleichgewicht, Körpergefühl und Koordination: Asana, bei denen der gesamte Körper in einer Umkehrhaltung ist, stärken das Gleichgewicht, sowie das Körpergefühl und die muskuläre Koordination.

Geistige und emotionale Wirkungen.

  • Fokus im gegenwärtigen Augenblick: Gerade herausfordernde Umkehrhaltungen wie Hand- oder Kopfstand bringen den Fokus direkt in den gegenwärtigen Moment. Mangelnde Konzentration durch abdriftende Gedanken wird nämlich in diesen Umkehrhaltungen direkt bestraft, denn so ist es nicht möglich die Asana zu halten.

  • Stärkung der Konzentration: Für viele Umkehrhaltungen ist Konzentration erforderlich und somit wird die Konzentration durch das Praktizieren von Umkehrhaltungen langfristig gestärkt.

  • Perspektivenwechsel: In Umkehrhaltungen sehen wir bekannte Dinge aus einer anderen Perspektive. Indem wir die Realität mit der Umkehrhaltung auf den Kopf stellen, wird der Geist klar. Dies kann bei eingefahrenen Gedankenmustern helfen, diese zu erkennen und aufzulösen.
  • Entspannung oder neue Energie? Umkehrhaltungen können beides! Es gibt Umkehrhaltungen, die entspannend wirken und es gibt Umkehrhaltungen, die neue Energie geben und somit viel mehr anregend wirken. Deshalb kann man Umkehrhaltungen in 2 Kategorien einteilen: anregend und beruhigend. Alle Umkehrhaltungen haben gemeinsam, dass sie den Blutfluss Richtung Gehirn erleichtern, wodurch der Körper weniger Anstrengung aufbringen muss, um das Blut selbst zu pumpen. Das gibt dem Herzen eine Pause von all seiner harten Arbeit und ermöglicht dem Körper sich zu erholen. Was entscheidet aber jetzt darüber, ob eine Umkehrhaltung anregend oder beruhigend ist? Die Kraft, die man in der Asana aufbringen muss! In Asana wie dem Hand- oder Kopfstand benötigt man viel Kraft, um den Körper in die Umkehrhaltung zu bringen und dort zu halten. Sie entfachen Feuer im Körper und wirken deshalb belebend und geben einen Energiekick. Im Gegensatz dazu erfordert der halbe Schulterstand mit Beinen an der Wand (Viparita Karani) im Grunde gar keinen körperlichen Kraftaufwand. Die Asana der Pflug (Halasana) erfordert auch nur einen begrenzten Kraftaufwand. Deshalb wirken diese Umkehrhaltungen eher entspannend und beruhigend. Jede Umkehrhaltung ist deshalb individuell zu betrachten und hin-sichtlich ihres Kraftaufwandes zu beurteilen, um herauszufinden, ob eher eine anregende oder beruhigende Wirkung vorliegt.
  • Vertiefung der Atmung: In Umkehrhaltungen wirkt sich die Schwerkraft auch positiv auf die Atmung aus. In Umkehrhaltungen vertieft sich die Ausatmung, was dabei hilft verbrauchten Sauerstoff besser auszuatmen und mehr Platz für die Einatmung schafft. Die Betonung der Ausatmung hat in der Regel einen beruhigenden und entspannenden Effekt.
  • Mentale Stärke: Gerade herausfordernde Umkehrhaltungen wie Hand- oder Kopfstand helfen dabei mentale Stärke aufzubauen, denn gerade am Anfang stellen diese Asana ein unüberwindbares Hindernis dar. Indem man mit einer kontinuierlichen Übungs-Praxis auf diese Asana hinarbeitet, stärkt man Geduld, Ausdauer und lernt den Umgang mit den eigenen Ängsten. Dies kann dann auch auf andere Aspekte des Lebens übertragen werden.
kinderyoga anatomie

Umkehrhaltungen im Kinder- und Teenageryoga

Grundsätze für die Asana-Praxis mit Kindern und Jugendlichen.

Bevor wir uns näher mit der Asana – Gruppe der Umkehrhaltungen bei Kindern und Jugendlichen beschäftigen, sollten wir uns noch einmal die Grundsätze der Asana – Praxis mit Kindern und Jugendlichen ins Gedächtnis rufen:

  • Der Körper sollte für die Asana – Praxis langsam aufgewärmt werden.
  • Die Asana sind sowohl altersgerecht als auch den Yoga-Kenntnissen, sowie den körperlichen Fähigkeiten und Voraussetzungen der Kinder und Jugendlichen entsprechend auszuwählen.
  • Die Asana sind lediglich kurz zu halten und es ist vorteilhaft immer verschiedene Varianten einer Asana zu üben, um Fehlhaltungen zu vermeiden. Kinder haben hier zudem einen natürlichen Sinn für Abwechslung. Jugendliche können, sofern sie bereit dafür sind, schritt-weise an das längere Verweilen in den Asana herangeführt werden.
  • Der kindliche beziehungsweise jugendliche Bewegungsapparat ist sehr viel empfindlicher als der von Erwachsenen. Hier kommt es des-halb auch schneller zu Überlastungsschäden wie beispielsweise Überdehnungen.
  • Kinder haben ein sehr gutes Gespür dafür, was Genug ist. Auf den eigenen Körper hören, innenhalten, spüren und nichts erzwingen sollte deshalb von Anfang an in der Yogastunde gefördert werden.

Marcus Stück schreibt in seinem Buch „Entspannungstraining mit Yogaelementen in der Schule“:

Zu beachten sind die Besonderheiten des aktiven und passiven Bewegungsapparats. Extreme Dehnungen, Extremhaltungen und Halswirbelsäulenbelastungen (aufgrund der Wachstumsphase der Kinder), sind unbedingt zu vermeiden.

Quellenangabe: Marcus Stück, Entspannungstraining mit Yogaelementen in der Schule, Schibri – Verlag, 2. Auflage, 2011

Geeignete Umkehrhaltungen und Altersempfehlungen.

  • Handstand (Adho Mukha Vrikshasana)
  • Gestützter Kopfstand (Salamba Shirshasana)
  • Delfin (Shishumarasana)
  • Herabschauender Hund (Adho Mukha Svanasana)
  • Pflug (Halasana)
  • Schulterstand (Sarvangasana)

sind die klassischen Umkehrhaltungen, die für Kinder- und Teenageryoga relevant sind. Zudem gibt es verschiedene Asana, die anderen Asana – Gruppen zugeordnet werden, aber auch eine teilweise Umkehrhaltung beinhalten:

  • Stehende Vorwärtsbeuge (Uttanasana), Vorbeuge
  • Stehende Grätsche (Prasarita Padottanasana), Vorbeuge
  • Brücke (Setu Bandha Sarvangasana), Rückbeuge
  • Rad (Chakrasana), Rückbeuge
  • Position des Kindes (Balasana), Vorbeuge

Nicht alle Umkehrhaltungen eignen sich für alle Altersgruppen im Kinder- und Teenageryoga und manche hiervon sind auch umstritten gerade für jüngere Kinder:

  • Delfin (Shishumarasana) ab ca. 3 Jahre*
  • Herabschauender Hund (Adho Mukha Svanasana) ab ca. 3 Jahre*
  • Handstand (Adho Mukha Vrikshasana) ab ca. 10 Jahre*
  • Gestützter Kopfstand (Salamba Shirshasana) ab ca. 12 Jahre*
  • Pflug (Halasana) ab ca. 12 Jahre*
  • Schulterstand (Sarvangasana) ab ca. 12 Jahre*

*Sofern die für die Asana notwendigen Yoga-Kenntnisse, sowie körperlichen Fähigkeiten und Voraussetzungen vorliegen.

Für Kinderyoga (ca. 3 bis 9 Jahre) kommen demnach erst einmal nur die 2 sanfteren Umkehrhaltungen in Betracht:

  • Delfin (Shishumarasana)
  • Herabschauender Hund (Adho Mukha Svanasana)

Diese können ergänzt werden, um Asana, die anderen Asana – Gruppen zu-geordnet werden, aber den Körper zumindest teilweise in eine Umkehrhaltung bringen. Hier kommen beispielsweise die folgenden Asana in Frage, die den Oberkörper in eine Umkehrhaltung bringen:

  • Stehende Vorwärtsbeuge (Uttanasana)
  • Stehende Grätsche (Prasarita Padottanasana)

Zudem wird in der Asana Brücke (Setu Bandha Sarvangasana) die Hüfte erhöht und damit das Herz auch über den Kopf gebracht.

Umkehrhaltungen, die endokrine Drüsen (Hormondrüsen) beeinflussen.

Suzanne Augenstein schreibt in ihrer Dissertation „Auswirkungen eines Kurzzeitprogramms mit Yogaübungen auf die Konzentrationsleistung bei Grundschulkindern“ auf Seite 144:

Gewarnt wird vor Übungen, die endokrine Drüsen beeinflussen. Dazu gehören Umkehrhaltungen wie der Schulterstand (Sarvangasana) und der Kopfstand (Shirsasana). Diese könnten nach Maheswarananda (1990, S. 10) ein dem Alter nicht entsprechendes schnelles Wachstum verursachen.

Quellenangabe: Suzanne Augenstein, Dissertation „Auswirkungen eines Kurzzeitprogramms mit Yogaübungen auf die Konzentrationsleistung bei Grundschulkindern“ Universität / Gesamthochschule Essen, 2002, Seite 144 i. V. m. Maheswarananda, Sw. (1992): Yoga mit Kindern. München: Hugendubel

Die wichtigsten Drüsen des endokrinen Systems (Hormondrüsen) sind:

  • Hypothalamus (Teil des Zwischenhirns und wesentliches Steuerungszentrum für das vegetative Nervensystem)
  • Hypophyse (ein etwa haselnussgroßes endokrines Organ im zentralen Nervensystem, das der Synthese- und Abgabeort für zahlreiche Hormone ist)
  • Schilddrüse
  • Nebenschilddrüsen
  • Inselzellen der Bauchspeicheldrüse
  • Nebennieren
  • Hoden bei Männern
  • Eierstöcke bei Frauen

Neben dem Schulterstand (Sarvangasana) wirkt auch die Asana Pflug (Halasana) stark auf die Schilddrüse! Der Kopfstand (Shirshasana) regt die Funktion der Zirbeldrüse, des Hypothalamus und der Hypophyse (Gehirn) an. Dies trägt zu einer besseren Funktion und Koordination aller endokrinen Drüsen bei. Aber auch der Handstand wirkt auf das endokrine System. Nicht beantwortet wird die Frage, ob diese Asana komplett zu meiden sind oder die Jugendlichen es hier lediglich vermeiden sollten, lange in den Asana zu verweilen, so wie es im Erwachsenenyoga der Fall ist.