Warum sind manche Kinder in der Kinderyogastunde sehr dominant und andere zurückhaltend?
In jeder Kinderyoga Gruppe gibt es Kinder, die viel Raum einnehmen und dominant sind und solche, die eher zurückhaltend sind. Wie schaffen wir es als Kinderyogalehrerinnen, dass jedes Kind seinen Platz in der Gruppe findet ohne dass einzelne Kinder dominieren oder andere übersehen werden?
Jede Gruppe hat ihre Dynamik – einige Kinder nehmen viel Raum ein und bestimmen das Geschehen, während andere sich eher zurückziehen und im Hintergrund bleiben. Um diese Problematik in der Kinderyogastunde auflösen zu können und Balance in eine chaotische Gruppen-Dynamik zu bringen, ist es wichtig zu verstehen, was hinter dem Verhalten der Kinder stecken könnte.
Dominante Kinder im Yoga.
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Starker Wunsch nach Kontrolle und Sicherheit
Manche Kinder dominieren die Gruppe, weil sie sich nur dann sicher fühlen, wenn sie bestimmen können, was passiert. Als Ursachen hinter diesem Verhalten können beispielsweise die Angst vor Unsicherheit oder Veränderungen stehen, Schwierigkeiten, sich an Regeln zu halten oder an neue Situationen anzupassen oder auch Erfahrungen von Kontrollverlust beispielsweise im familiären Umfeld.
- Suche nach Anerkennung und Aufmerksamkeit
Dominantes Verhalten kann ein Weg sein, sich wichtig zu fühlen und Bestätigung zu bekommen. Es ist möglich, dass das betroffene Kind sich in anderen Lebensbereichen nicht ausreichend gesehen fühlt, dass es Bestätigung braucht, um sich wertvoll zu fühlen oder vielleicht hat es auch gelernt, dass Lautstärke und Durchsetzungsfähigkeit belohnt werden.
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Hohe Energie und Bewegungsdrang
Kinder mit viel Energie nehmen oft automatisch eine führende Rolle ein – einfach, weil sie immer in Bewegung sind. Hier können die Ursachen in einem starken Bewegungsdrang liegen. Es kann auch sein, dass das Kind viel äußere Stimulation und Aktivität benötigt und Schwierigkeiten hat, seine Impulse zu kontrollieren. -
Gelerntes Verhalten aus Familie oder Schule
Manche Kinder wachsen in einem Umfeld auf, in dem sie sich durchsetzen müssen und übernehmen dieses Muster in Gruppen. Eventuell sind die Eltern oder Geschwister sehr durchsetzungsstark, Konkurrenzverhalten wird gefördert oder das Kind hat Erfahrungen mit mangelnder Gleichberechtigung gemacht und glaubt, nur laut sein bringt Erfolg.
Zurückhaltende Kinder im Yoga.
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Geringes Selbstvertrauen und Angst vor Fehlern
Manche Kinder ziehen sich zurück, weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen oder nicht gut genug zu sein. Als Ursachen hinter diesem Verhalten können beispielsweise Perfektionismus und hohe Selbstkritik stehen, negative Erfahrungen mit Kritik oder Zurückweisung oder fehlendes Vertrauen in die eigene Meinung. -
Introvertierte Persönlichkeit
Manche Kinder sind einfach von Natur aus ruhiger und bevorzugen es, erst zu beobachten, bevor sie sich aktiv beteiligen. Diese Kinder verarbeiten Reize lieber in Ruhe, fühlen sich in kleineren Gruppen wohler und sind sehr sensibel in Bezug auf Lautstärke und Hektik. -
Angst vor Ablehnung oder negativer Aufmerksamkeit
Manche Kinder fürchten, ausgelacht oder ausgeschlossen zu werden, wenn sie sich äußern. Vielleicht haben sie Erfahrungen mit Mobbing oder Ausgrenzung gemacht, haben Angst davor von anderen nicht akzeptiert zu werden oder negative Erlebnisse mit Lehrern, Erziehenden oder anderen Autoritätspersonen gemacht. -
Soziales Lernen: „Andere übernehmen das Sprechen für mich.“
Wenn in einer Gruppe andere Kinder sofort das Ruder übernehmen, ziehen sich manche automatisch zurück. Die Kinder könnten hier gelernt haben, dass andere immer schneller und lauter sind. Sie haben keine Erfahrung damit, in Gruppen Gehör zu finden und Angst, nicht „gegen die Lauten“ anzukommen.
Kinderyoga Gruppen mit stark unterschiedlichen Persönlichkeiten ausbalancieren.
Um Ausgeglichenheit und eine positive Gruppen-Dynamik in Kinderyogakursen zu schaffen, ist es wichtig, die unterschiedlichen Persönlichkeiten bewusst zu begleiten. Dominante Kinder sollten lernen, anderen Raum zu lassen und auf Augenhöhe zu kommunizieren, damit sich alle gleichwertig fühlen. Gleichzeitig brauchen zurückhaltende Kinder ermutigende Impulse, die ihnen helfen, sich sicher zu fühlen und ihre Stimme zu finden. Wenn jedes Kind seinen Platz in der Gruppe bekommt, entsteht eine Atmosphäre, in der alle gesehen, gehört und wertgeschätzt werden. Durch achtsame Methoden kann eine Umgebung geschaffen werden, in der sowohl starke als auch leise Persönlichkeiten wachsen und sich entfalten können.
Erste-Hilfe-Strategien für die Kinderyogastunde.
Dominante Kinder
- Klare Strukturen schaffen und Sicherheit vermitteln.
- Dem Kind alternative Wege zeigen, um Anerkennung zu bekommen, z. B. durch Hilfsbereitschaft oder verantwortungsvolle Aufgaben.
- Bewegung gezielt einsetzen z. B. Aufgaben geben, die Energie erfordern.
- Atemübungen zur Selbstregulation einbauen und langfristig üben.
- Gruppenregeln etablieren die Kooperation statt Konkurrenz fördern.
Zurückhaltende Kinder
- Lob und Ermutigung geben und bewusst kleine Erfolgserlebnisse ermöglichen.
- Akzeptieren, dass nicht alle Kinder laut sein müssen.
- Sanfte Möglichkeiten zur Beteiligung geben z. B. durch ruhige Reflexionsrunden oder nonverbale Ausdrucksformen.
- Eine wertschätzende und sichere Umgebung schaffen in der alle Stimmen gehört werden.
- Redezeit bewusst verteilen. Ruhige Kinder direkt einbeziehen und stärken.
Positive Psychologie im Kinderyoga: Stärken stärken statt Schwächen suchen!
In vielen Gruppen wie beispielsweise in der Schule oder in Sportkursen liegt der Fokus oft darauf, was noch nicht gut funktioniert. Kinder bekommen gesagt, was sie verbessern müssen, wo sie sich noch anstrengen sollen und was ihnen fehlt. Doch was wäre, wenn wir den Blick bewusst auf das richten, was sie bereits können? Genau hier setzt die „Positive Psychologie“ an. Die Grundidee ist einfach, aber kraftvoll: Jedes Kind hat Stärken, die es ausleben kann. Anstatt auf Defizite zu schauen, wird die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, was ein Kind besonders gut kann, welche Talente es hat und welchen wertvollen Beitrag es zur Gruppe leisten kann. Das gilt sowohl für Kinder, die sich in Gruppen gerne in den Vordergrund drängen, als auch für jene, die sich eher zurückziehen.
- Dominante Kinder haben oft eine natürliche Führungsstärke, viel Energie oder den Wunsch, gehört zu werden. Sie können lernen, ihre Stärke gezielt einzusetzen – etwa indem sie andere motivieren oder achtsam Verantwortung übernehmen.
- Zurückhaltende Kinder hingegen brauchen oft Impulse, um sich sicher zu fühlen und ihren Platz in der Gruppe zu finden. Sie können entdecken, dass auch leise Eigenschaften wie Einfühlsamkeit, Kreativität oder Achtsamkeit wertvoll für die Gemeinschaft sind.
Dieser Perspektivwechsel verändert nicht nur die Dynamik in der Gruppe, sondern stärkt das Selbstvertrauen und die Motivation aller Kinder, denn wer seine eigenen Stärken kennt, kann sie bewusst nutzen und weiterentwickeln. Kinder, die ihre eigenen Stärken erkennen und nutzen dürfen,
- fühlen sich sicherer und selbstbewusster in der Gruppe.
- entwickeln eine positive Einstellung zu Herausforderungen.
- lernen, ihre Stärken gezielt einzusetzen, um anderen zu helfen.
- erfahren Wertschätzung und fühlen sich in der Gruppe zugehörig.
Gerade im Kinderyoga kann dieses Prinzip wunderbar integriert werden:
Ein dominantes Kind kann lernen, sich bewusst in Partnerübungen auf sein Gegenüber einzustellen, während ein zurückhaltendes Kind vielleicht in einer ruhigen Atemübung oder Entspannungsphase seine ganz eigene Stärke entdeckt. Wenn Kinder sehen, dass ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten gleichwertig sind und jeder eine wertvolle Rolle in der Gruppe hat, verändert sich das Gruppengefühl nachhaltig.
Ein Kind, das sich oft überfordert oder unsicher fühlt, kann durch eine kleine Bestärkung „Du bist richtig gut darin, andere aufzumuntern!“ plötzlich entdecken, dass es eine wertvolle Rolle hat. Ebenso kann ein Kind, das oft im Mittelpunkt steht, erfahren, dass Zuhören und Raumgeben genauso wichtig sind wie Anführen. Diese Form des achtsamen Miteinanders stärkt nicht nur die Persönlichkeit jedes einzelnen Kindes, sondern auch die Harmonie und Balance in der gesamten Gruppe.
Übung „Jeder ist Experte!“
Die Übung „Jeder ist Experte“ macht deutlich, dass nicht nur die Lauten oder Wildesten wichtig sind, sondern jedes Kind mit seinen individuellen Stärken. Besonders in der Kinderyogastunde fördert diese Methode eine positive Gruppendynamik, Selbstvertrauen und ein wertschätzendes Miteinander.
Schritt 1) Übung vorstellen
Erkläre den Kindern, dass jeder von ihnen eine besondere Fähigkeit hat – etwas, das sie gut können oder worin sie sich sicher fühlen. Heute ist jeder von ihnen Experte für eine Sache!
„In unserer Gruppe gibt es viele Talente und Fähigkeiten. Heute wollen wir gemeinsam herausfinden, was jeder von euch besonders gut kann – und wir teilen unser Wissen miteinander.“
Schritt 2) Die Kinder wählen oder bekommen eine Experten-Rolle
Nun bekommt jedes Kind eine kleine Aufgabe, in der es sein Wissen oder seine Fähigkeit an die Gruppe weitergibt. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Experten-Rollen zu verteilen:
- Möglichkeit 1: Die Kinder wählen selbst.
Gibt es etwas, das du richtig gut kannst oder gerne zeigen würdest? Welche Yoga-Übung oder Entspannungstechnik magst du besonders? - Möglichkeit 2: Du teilst zufällig Rollen zu.
Falls sich einige Kinder nicht entscheiden können oder es immer dieselben sind, die sich freiwillig melden, kannst du kleine Zettel mit verschiedenen Experten-Rollen vorbereiten und ziehen lassen.
Beispiele für Experten-Aufgaben:
Ein Kind erklärt eine Lieblings-Yoga-Übung (z. B. „Der Baum“).
Ein Kind gibt eine Atemübung für Ruhe & Fokus vor.
Ein Kind erzählt, wie es sich selbst bei Stress beruhigt.
Ein anderes zeigt eine Bewegung, die ihm oder ihr Energie gibt.
Ein Kind erfindet eine kleine Yoga-Geschichte, die alle nachmachen können.
Wichtig: Wenn ein Kind unsicher ist oder sich nicht traut, kann es mit einem Partner oder in einer kleinen Gruppe arbeiten. Jede Stimme zählt! Auch wer nicht viel redet, kann etwas zeigen oder vormachen.
Schritt3 3) Die Experten präsentieren ihre Stärken
Jetzt darf jedes Kind seine Aufgabe präsentieren. Alle anderen hören zu und probieren es mit. Ermutige die Gruppe, wertschätzend zuzuhören und sich gegenseitig zu unterstützen.
Schritt 4) Reflexion und Wertschätzung am Ende
Zum Abschluss der Übung setzt sich die Gruppe noch einmal zusammen und reflektiert:
- Wie hat es sich angefühlt, dein Wissen zu teilen?
- Gab es etwas Neues, das du heute von jemand anderem gelernt hast?
- Wem möchtest du für seine Experten-Rolle danken?
Um die Erfahrung noch zu verstärken, kann jedes Kind eine positive Rückmeldung für ein anderes geben.
Karma Yoga mit Kindern: Seva
Was ist Karma Yoga und Seva?
Karma Yoga ist der Yoga des Handelns. Es bedeutet, dass alles, was wir tun, eine Wirkung hat. Wenn wir mit einem liebevollen Herzen handeln, erschaffen wir Positives – für uns und für andere. Seva wird als die Essenz des Karma Yoga bezeichnet und bedeutet „selbstloser Dienst“ – also etwas für andere zu tun, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Es geht darum, Gutes zu tun, einfach weil es richtig ist und Freude macht. Seva ist also eine Möglichkeit, Karma Yoga im Alltag zu leben.
Das Konzept von Seva als selbstlosem Dienst wird im Yoga Sutra von Patanjali nicht direkt erwähnt, aber es ist eng mit zwei wichtigen Prinzipien aus dem Yoga Sutra verbunden:
- Aparigraha (Nicht-Anhaften), 5. Yama
Wer nichts erwartet und nichts an sich reißt, ist wirklich frei. Dies bedeutet, wenn wir ohne Erwartung helfen, macht uns das glücklicher. - Ishvarapranidhana (Hingabe an etwas Größeres), 5. Niyama
Vertraue darauf, dass dein Handeln eine Bedeutung hat. Dies bedeutet, wir tun Gutes, weil es richtig ist und nicht weil wir eine Belohnung erwarten.
Seva im Alltag von Kindern kann beispielsweise wie folgt aussehen:
- Du hilfst einem Freund bei den Hausaufgaben, ohne dass du möchtest, dass er dir später auch hilft.
- Du bist freundlich zu jemandem, einfach weil du möchtest, dass er oder sie sich gut fühlt.
- Du hebst ein verlorenes Pausenbrotpapier vom Boden auf, ohne dass dich jemand darum bittet.
- Du teilst dein Spielzeug oder dein Essen, ohne zu erwarten, dass du auch etwas zurückbekommst.
- Du schenkst jemandem ein Lächeln oder sagst etwas Nettes, nur um ihn aufzumuntern.
- Du räumst den Yogaraum mit auf, weil du möchtest, dass es für alle schön bleibt.
Seva bedeutet: Ich helfe, weil es sich gut anfühlt – nicht, weil ich etwas dafür zurückbekommen will.
Wie profitieren dominante & zurückhaltende Kinder von Seva?
Seva – der selbstlose Dienst – hat eine tiefgehende Wirkung auf die Gruppendynamik und hilft sowohl dominanten als auch zurückhaltenden Kindern ihre Rolle innerhalb der Gemeinschaft bewusster wahrzunehmen und auszubalancieren. Kinder, die in Gruppen oft den Ton angeben, möchten meist führen, bestimmen und die Richtung vorgeben. Seva lehrt sie, dass Führung nicht bedeutet, immer an erster Stelle zu stehen, sondern auch, andere zu unterstützen und ihnen Raum zu geben. Ein dominantes Kind, das es gewohnt ist, voranzugehen, kann durch Seva erleben, wie schön es ist, wenn andere durch seine Unterstützung wachsen. Zum Beispiel, wenn es einem zurückhaltenden Kind hilft, eine Yoga-Übung besser zu halten oder ihm Mut macht, eine Übung anzuleiten. Kinder, die in Gruppen eher still sind, ziehen sich oft zurück, weil sie denken, dass ihre Beiträge nicht wichtig genug sind oder weil sie nicht mit lauteren Kindern konkurrieren möchten. Durch Seva erkennen sie, dass ihre Handlungen genauso wertvoll sind – auch wenn sie nicht laut oder auffällig sind. Ein ruhiges Kind kann durch Seva spüren, dass es nicht laut sein muss, um gesehen zu werden. Wenn es beispielsweise einem anderen Kind unauffällig hilft, seine Matte auszurollen oder ein sanftes Lächeln schenkt, um es zu ermutigen, macht das bereits einen großen Unterschied.
2 Übungen, wie Seva in die Kinderyogastunde integriert werden kann.
Seva-Karten ziehen – Jeder kann helfen!
Zu Beginn oder am Ende der Stunde zieht jedes Kind eine Seva-Karte, auf der eine kleine gute Tat steht, die es während oder nach der Kinderyogastunde umsetzen kann. Beispiele für Seva-Karten:
- Hilf jemandem, der sich unsicher fühlt.
- Sorge für Ruhe, wenn es in der Gruppe unruhig wird.
- Schenke jemandem ein ehrliches Kompliment.
- Räume nach der Kinderyogastunde mit auf.
Dominante Kinder bekommen eine Aufgabe, die nicht auf sie selbst, sondern auf andere fokussiert ist. Zurückhaltende Kinder können mit einer einfachen Seva-Aktion aktiv werden, ohne aus ihrer Komfortzone herauszugehen.
Die stille Helfer-Challenge – Helfen ohne Worte
Die Kinder bekommen eine geheime Aufgabe: Sie sollen während der Yogastunde aufmerksam sein und jemandem helfen ohne darüber zu sprechen. Mögliche stille Seva-Taten:
- Einer anderen Person die Matte ausrollen oder zurechtlegen.
- Jemandem unauffällig eine Ermutigung schenken, beispielsweise durch Lächeln oder Daumen hoch.
- Einen ruhigen Platz schaffen indem sie anderen ein Beispiel für Stille geben.
Nach der Stunde können die Kinder teilen, was sie getan haben und wie es sich angefühlt hat.
Dominante Kinder lernen, ohne Worte oder Kontrolle für andere da zu sein. Zurückhaltende Kinder können auf ihre Weise helfen, ohne in den Mittelpunkt zu treten.