Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen nehmen in den letzten Jahren immer mehr zu; ca. 20% aller Schulkinder leiden unter Kopfschmerzen.

Bei Kopfschmerzen wird zunächst einmal zwischen primären und sekundären unterschieden. Sekundäre Kopfschmerzen stehen in Verbindung mit einer Grunderkrankung oder körperlichen Störung. Sekundäre Kopfschmerzen können beispielsweise mit einer Gehirnerschütterung, einer Erkältung oder einem Wachstumsschub im Zusammenhang stehen. Bei Schulkindern treten Kopfschmerzen auch gerne mal auf, wenn die Augen schlecht sehen. Primäre Kopfschmerzen auch idiopathische Kopfschmerzen genannt, stehen dagegen mit keiner weiteren Krankheit im Zusammenhang. Das tückische an Kopfschmerzen ist, dass sie unsichtbar sind und deshalb gerade bei Kindern oft nicht ernst genommen werden. Genau um diese primären Kopfschmerzen geht es in dem Buch „Kopfschmerzkinder – Was Eltern, Lehrer und Therapeuten tun können.“ von Hanne Seemann. Sie ist Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Hypnotherapeutin und erklärt in dem Buch sehr verständlich die beiden häufigsten Formen des primären Kopfschmerzes bei Kindern, beschreibt ihre langjährigen Erfahrungen aus der Arbeit mit Kopfschmerzkindern und wie Kinder mit diesen Schmerzen umgehen und sie bewältigen können.   

Wenn wir aber sehen, dass immer früher die kognitiven Fähigkeiten von Kindern schwerpunktmäßig gefördert werden – dass die Kopf-Arbeit schon früh im Kindesalter und danach immer stärker betont wird und ausgleichendes emotionales und körperliches Spiel ohne Leistungsanspruch mehr und mehr auf der Strecke bleiben – dann wundert es eigentlich nicht, dass so mancher Kinds-Kopf sich dagegen wehrt und wehtut. (Seemann, Seite 13)

kopfschmerzkinder

Was ist Migräne?

Bei den primären Kopfschmerzen wird in Migräne-Kopfschmerz und Spannungskopfschmerzen unterschieden. Sie unterscheiden sich sehr grundlegend voneinander. Bei Migräne handelt es sich nicht einfach nur um starke Kopfschmerzen, sondern sie betrifft viele verschiedene Körperfunktionen und ist ein sehr komplexes Geschehen im Körper. Gerade in Bezug auf Kindern ist es besonders wichtig zu wissen, dass sich hier die Migräne oft nicht im Kopf abspielt, sondern im Bauch. Man spricht hier von der sogenannten Bauch-Migräne! Ein Migräne-Anfall hat Vorläufer und läuft in verschiedenen Stufen ab. Körperliche Aktivität verschlimmert hier die Schmerzen. Spannungskopfschmerz baut sich langsam auf. Hier kann aktive Bewegung an der frischen Luft den Schmerz durchaus lindern. Die Migräne wird von einer sogenannten Aura-Phase begleitet, in der die Realität verzerrt wird und ein Umgang mit der räumlichen Umgebung nicht mehr möglich ist. Gerade für Kinder ist diese Aura-Phase sehr verängstigend. Wichtig zu verstehen ist hier aber auch, warum die Migräne da ist. Die Migräne wird als eine anfallsartige Funktionsstörung bezeichnet und ist eine vorübergehende Störung des Nervensystems. Die Migräne schützt den Körper vor Überlastung indem sie einfach lahmlegt. Migräne ist ein Schutzreflex des Körpers. Dies zu verstehen, verändert für mich grundlegend die Sichtweise auf die Migräne.

Der Organismus inszeniert diesen „Nervenzusammenbruch“ selbst und zwar aus gutem Grund. Die Migräne ist nämlich die Notbremse, die der Organismus selbst „zieht“ bzw. auslöst, um sich vor Überlastung zu schützen. (Seemann, Seite 27)

Auslöser für Migräne-Attacken gibt es viele und sie sind individuell unterschiedlich. Eine Migräne wird aber nicht durch eine Sachen ausgelöst. Seemann beschreibt es anhand eines Belastungs-Fasses. Dieses Belastungs-Fass ist erst einmal leer und füllt sich mit der Zeit. Und dann kommt der berühmte „letzte Tropfen“ der das Belastungs-Fass überlaufen lässt und die Migräne in Gang setzt. Nach der Migräne ist das Belastungs-Fass wieder leer und die Betroffenen fühlen sich dementsprechend gut. Aber jetzt geht es wieder von vorne los und das Belastungs-Fass füllt sich wieder Tropfen für Tropfen bis zur nächsten Migräne. Auch das Beispiel des Belastungs-Fasses zeigt, dass es sich bei Kopfschmerzen eigentlich um eine schützende Funktion des Körpers handelt.

Unter der Überschrift „Das Migräne-Gehirn“ beschreibt Seemann, dass Migräne eine angeborene Funktionsstörung des Nervensystems ist, d.h. manche Menschen habe eine Disposition für Migräne. Das Migräne-Gehirn ist sehr reizsensibel, hat keinen Filter für die Reize und reagiert deshalb extrem auf die Umwelt, aber auch auf die eigenen Gedanken. Muss das Gehirn zu viele Reize verarbeiten, kommt es irgendwann an seine Kapazitätsgrenzen.

Kinder mit Migräne – Disposition sind sensibel und erleben alles immer mit der gleichen emotionalen Intensität. Also auch bekannte Situationen, wie die 10. Klassenarbeit erleben sie emotional genauso intensiv wie die allererste Klassenarbeit. 

Migräne-Kinder sind nämlich besondere Menschen. Sie gelten als aktiv, neugierig, aufgeweckt, ehrgeizig, lebenshungrig und kreativ – und sie sind sensibel. (Seemann, Seite 36)

Erfahrungsberichte von Kopfschmerzkindern.

Das Buch enthält zudem viele Praxisbeispiele und Erfahrungsberichte aus der Arbeit von Hanne Seemann als Psychologin, die wichtige Aspekte in Bezug auf den Umgang mit Kopfschmerzkindern aufzeigen:

  • Vorfreude regt das Nervensystem an, d.h. auch positive Situationen können Migräne auslösen. Negative Erwartungen wie beispielsweise eine Klassenarbeit oder auch  Mobbing haben den gleichen Effekt. Hier spielt der Kopf eine entscheidende Rolle!
  • Kopfschmerzkinder sind extrem aufmerksam und sensibel für alles um sie herum, aber ihnen fehlt die Aufmerksamkeit und Sensibilität in Bezug auf sich selbst.
  • Es ist wichtig Kindern genug Raum zu geben, damit sie selbst herausfinden können, was ihnen bei Schmerzen hilft und was sie brauchen.
  • Jeder kennt diese Situation: Ein Kind, dass in der Schule während dem Unterricht mal für einige Minuten verträumt aus dem Fenster schaut und vom Lehrer für dieses Verhalten gestört wird. Kindern vermittelt dies eine völlig falsche Botschaft, denn gerade diese kurzen „Träumereien“ sind kleine Erholungsphasen für Kinder um Schulalltag.
  • Kopfschmerzkinder sind nicht nur sehr sensibel, sondern auch harmoniebedürftig, was dazu führen kann, dass sie Wut oder Aggressionen nicht aus sich raus lassen und diese, weil sie im inneren gefangen gehalten werden, sich in Kopfschmerzen verwandeln. Hier ist es wichtig, die Kinder dabei zu unterstützen auch die negativen Gefühle raus zu lassen und durch Aktivität körperlich zu verarbeiten.

Lerne, aus den Schätzen der Welt das auszuwählen, was du wirklich brauchst, was dir zusagt und dir gut bekommt. (Seemann, Seite 77)

In dem Kapitel „Lerne wählen!“ erinnert Seemann daran, dass Kinder selten eine Wahl haben, denn sie müssen eigentlich ständig irgendwas. Sie müssen früh aufstehen, sie müssen still sitzen, sie müssen Essen und Trinken, wenn Pause ist, sie müssen Hausaufgaben machen, sie müssen Zähne putzen, sie müssen pünktlich ins Bett gehen… An dieser Aufzählung merkt man schnell, dass sie dem Müssen nicht entrinnen können und das ist erschreckend! Es gibt nur einen der die Kinder schützt, wenn es zu viel mit dem Müssen wird und das ist der eigene Körper. Hierdurch kann ein teuflischer Teufelskreis entstehen, denn Kindern merken auch, wenn sie krank sind, müssen sie auf einmal nicht mehr…. Wir sollten Kindern deshalb dabei unterstützen das Wählen zu lernen und ihnen auch im Alltag Wahlmöglichkeiten einräumen!

Warum der kleine oder große Mensch das Wählen erst wieder lernen muss, hängt mit dem Erwartungs- und Anpassungsdruck des sozialen Umfeldes zusammen, der schon im Kindergartenalter beginnt. (Seemann, Seite 79)

Dieses Buch von Hanne Seemann liefert ein wertvolles Wissen in Bezug auf Kopfschmerzen und Migräne bei Kindern. Als Kinderyogalehrerin hat es mich für dieses Thema sehr sensibilisiert. Für Kopfschmerzkinder ist es unglaublich wichtig ein Gefühl für ihren eigenen Körper zu entwickeln und selbst zu entscheiden, was ihnen gut tut und was nicht. Genau dies können wir mit Yoga sehr gezielt unterstützen! In dem Buch werden zudem viele kleine Übungen und kurze Fantasiereisen vorgestellt, die Kopfschmerzkindern dabei helfen im Alltag Ruhe und Entspannung zu finden, die ihr Körpergefühl stärken, ihnen die Möglichkeit geben sich zurückzuziehen oder auch mit bestimmten Gefühle besser zu verarbeiten. Seemann ist es wichtig nicht die Defizite der Kopfschmerzkinder zu betrachten, sondern ihre Ressourcen und ihr Potential und sie genau darin zu bestärken. Auch weißt sie immer wieder darauf hin, dass Kinder Aufgaben auf ihre eigene Art und Weise erledigen, die für uns Erwachsene manchmal nicht zu verstehen ist. Aber auch dies ist wichtig zu akzeptieren und ihnen diesen Freiraum zuzugestehen. Ein Trödeln bei den Hausaufgaben ist für Eltern nervig, kann für Kindern aber eine entspannende Funktion haben.

Ein sehr empfehlenswertes Buch, dass mich persönlich an vielen Stellen zum Nachdenken angeregt hat!

Buch-Informationen.

Hanne Seemann
Kopfschmerzkinder
Was Eltern, Lehrer und Therapeuten tun können
Fachratgeber Klett-Cotta
136 Seiten
ISBN: 978-3-608-86038-2

Kaufen

*Beitrag enthält Affiliate-Links.
**Werbung ohne Auftrag. Selbst gekauft.
***Bilderquelle: Klett-Cotta-Verlag