Ein Buch von Kinderarzt Dr. med. Michael Hauch.
Als Kinderyogalehrerin und lange bevor ich selbst Mutter wurde, war ich schon der Meinung, dass jedes Kind bei der Entwicklung seinem ganz eigenen Zeitplan folgt. Hier Kinder zu vergleichen oder nach irgendwelchen allgemeinen Maßstäben und Kriterien zu beurteilen, fand ich deshalb immer schon eine ganz schlechte Idee. Als Kinderyogalehrerin habe ich von Anfang an versucht, die Kinder einfach da abzuholen, wo sie gerade sind und mich auf sie und ihr Entwicklungstempo einzustellen. Auch strikte Alterseinteilungen in meinen Kursen vermeide ich, denn das Alter ist oft nur ein grober Anhaltspunkt und führt am Ende immer mal wieder zu unglücklichen Vergleichen und Beurteilungen.
Aber gerade in den letzten Jahren habe ich immer mehr gemerkt, wie Kinder von allen Seiten her in ihrer Entwicklung beurteilt werden und der Fokus immer mehr darauf gelegt wird, was sie noch nicht alles tun oder können, obwohl sie doch schon in dem entsprechenden Alter sind. Alles wird beurteilt und verglichen und am Ende denken die Kinder irgendwas stimmt nicht mit ihnen und die Eltern werden mehr und mehr unsicher und verlieren das Vertrauen in sich selbst und ihre Kinder.
Und ganz ehrlich: Trotz meiner beschriebenen Einstellung zu diesem Thema zu der ich auch heute noch voll und ganz stehe, war ich unlängst selbst genau in dieser Situation und ließ mich von Pädagogen und Erzieherinnen in Bezug auf meine Tochter so dermaßen verunsichern, dass ich selbst am Ende verzweifelt bei unserer Kinderärztin saß und mir von ihr bestätigen ließ, dass ich ein völlig normales Kind habe, dass weder eine Entwicklungs- noch eine Verhaltensstörung hat. Nach dem Gespräch mit der Kinderärztin war ich natürlich erleichtert, aber auch wirklich fassungslos darüber, wie schnell aus „normalen“ Kindern mittlerweile Problemfälle gemacht werden.
Wenn Eltern, Erzieherinnen oder Grundschullehrerinnen über ein auffälliges Kind sprechen, sagen sie oft, dass das Kind nicht normal sei, es erreiche den üblichen „Leistungsstandard“ nicht. Dahinter steckt die Idee, dass alle Kinder mit ihren Kompetenzen und tatsächlichen Leistungen möglichst nag an den Mittelwerten in ihrer Altersgruppe liegen und das jede Abweichung von diesem Mittelwert eine ernsthafte Auffälligkeit ist, die so schnell wie möglich behoben werden muss. (Hauch, Seite 109)
Genau hierum geht es in dem Buch „Kindheit ist keine Krankheit„* von Dr. med. Michael Hauch, der seit über 20 Jahren niedergelassener Kinderarzt in Düsseldorf ist. Bereits nach den ersten 20 Seiten des Buches bekommt man einen Eindruck davon aus was heutzutage eine Entwicklungs- und Verhaltensstörung gemacht wird. Und das nur, weil die Kinder nicht in das vorgegebene Schema passen oder bereits im Kindergarten mit Tests beurteilt werden, die einer wissenschaftlichen Validierung nie Stand halten würden.
- Ein Kind das nicht genauso lange auf einem Bein stehen kann wie seine Freunde.
- Ein Kind das in der Schule auf die Lehrerin eher verträumt wirkt.
- Ein Kind, dass angeblich nicht richtig Sprechen kann, aber einfach nur ein sogenannter Late Talker ist.
- Ein Kind, dass mit der Schere nicht ganz so exakt ausschneidet, wie es die Erzieherin gerne hätte.
Natürlich gibt es Fälle in den tatsächlich eine zu behandelnde Entwicklungs- und Verhaltensstörung vorliegt und es ist gut, dass unser Gesundheitssystem hier viele verschiedene Therapiemöglichkeiten bieten. Die Zahl der wirklich ernst zunehmenden Entwicklungs- und Verhaltensstörungen bei Kindern ist aber laut Dr. med. Michael Hauch eher gering.
Fakt ist aber auch, dass in den letzten 25 Jahren die Sprach- und Verhaltensstörungen, die Entwicklungsverzögerungen und motorischen Defizite bei Kindergarten- und Schulkindern zugenommen haben. Sehr anschaulich wird in diesem Zusammenhang beschrieben, wie sich die Gesellschaft in den letzten Jahren verändert hat und warum es schwieriger geworden ist, ein Kind aber auch Eltern zu sein und was die Auswirkungen hiervon sind.
Die heutigen Kinder sind genetisch nicht anders ausgestattet, als Kinder vor 10 oder 20 Jahren. Aber die Welt, in der sie und ihre Eltern leben hat sich verändert – und mit ihr auch die Beziehung zwischen Eltern und Kindern.(Hauch, Seite 37)
In einem ganzen Kapitel befasst sich Dr. med. Michael Hauch mit der Frage „Was ist eine normale Entwicklung?“ Schon geringe Abweichungen von einen Mittelwert werden von Eltern, Erzieher/innen und Lehrer/innnen direkt als ernsthafte Auffälligkeit eingestuft, die therapiert werden muss. Mit seinen Ausführungen in diesem Kapitel hat mich der Autor nur in meiner Meinung bestärkt, dass jedes Kind seinem ganz eigenen Entwicklungsplan folgt und auch seine Fähigkeiten in den unterschiedlichen Bereichen in seinem eigenen Tempo entwickelt.
Natürlich darf in einem solchen Buch auch das Thema ADHS nicht fehlen. Gerade in Kinderyogakursen wurde ich schon häufig mit Kindern konfrontiert, die angeblich unter ADHS leiden. Sehr verständlich beschreibt Dr. med. Michael Hauch was für Gründe es geben kann, warum ein Kind zappelig ist oder um Aufmerksamkeit kämpft. Die meisten Gründe habe allerdings nichts mit Krankheit ADHS zu tun! Wirklich schockierend fand ich die Ausführungen, was nach einer solchen falschen ADHS-Diagnose passiert. Die meisten Kinder mit einer ADHS-Diagnose, ob nun richtig oder falsch, werden mit Medikamenten insbesondere Ritalin behandelt und bei rund einem Drittel der Kinder haben die Medikamente Nebenwirkungen. Auch wenn bei eine Kind fälschlicherweise ADHS diagnostiziert wurde und es mit dem Medikament Ritalin behandelt wird, wirkt das Medikament auf das gesunde Kinderhirn. Eine völlig fatale Kettenreaktion nur weil ein Kind aus dem Rahmen fällt! Was die meisten im Zusammenhang mit ADHS nicht wissen, ist, dass es nicht urplötzlich auftaucht, sondern meist schon im Säuglingsaltern in Form von extremer Unruhe und Schreiattacken.
Manche Kinder, die mir von Grundschullehrerinnen mit dem Verdacht auf ADHS geschickt werden, waren im Kindergarten nie auffällig. Dies allein ist schon ein Grund, an der „Diagnose“ zu zweifeln. Denn ADHS tauch nicht urplötzlich in der Grundschule auf, sondern meist schon im Säuglingsalter in Form von extremer Unruhe und Schreiattacken, spätestens aber in der Kita. (Hauch, Seite 157)
Ich kann dir das Buch „Kindheit ist keine Krankheit„* von Dr. med. Michael Hauch wirklich nur empfehlen, denn auch für uns Kinderyogalehrerinnen ist es wichtig sich darüber klar zu sein, wie sich die Welt der Kinder und ihrer Eltern in den letzten Jahren verändert hat, wie sich dies auf das Verhalten und die Entwicklung der Kinder und die Eltern-Kind-Beziehung auswirkt und was die aktuellen Herausforderungen für die Kinder sind. Mit Sicherheit hast du es auch schon einmal in einer deiner Kinderyogastunden erlebt, dass ein Kind irgendwie aus der Reihe getanzt ist, den Unterricht gestört hat und sich nicht bändigen ließ. Das erste, was ich mir in solchen Situationen immer klar mach ist: Wir können nie wissen, was die Kinder mit in die Yogastunde bringen. Wir wissen nicht, was sie den Tag über schon alles erlebt habe. Auch für solche Situationen weckt das Buch von Dr. med. Michael Hauch noch einmal ein neues Verständnis, ist augenöffnend und kann so eine wertvolle Hilfe für deine Arbeit sein.
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