In der klassischen Kinderyoga-Literatur gibt es jede Menge Bücher, die sich mit Übungen für Kinderyoga befassen und dazu mögliche Wirkungen auflisten, aber diese Wirkungen sind meisten nicht wissenschaftlich nachgewiesen. Um jedoch an Institutionen wie beispielsweise Schulen oder Kindergärten Yoga zu etablieren, ist es unerlässlich die Wirkungen von Yoga für Kinder und Jugendliche wissenschaftlich zu untersuchen und zu erklären. Genau hierum geht es in dem Buch „Wissenschaftliche Grundlagen zum Yoga mit Kindern und Jugendlichen.**“ von Professor Dr. Marcus Stück. Er ist Psychologe, Psychotherapeut, Yoga-Lehrer und gilt als Pionier der Forschung zu Yoga mit Kindern und Jugendlichen. In dem Buch gibt er einen Überblick über die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Yoga mit Kindern und Jugendlichen und liefert hierzu entsprechende Argumentationen.
Das Buch ist in 5 Teile gegliedert. Im ersten Teil des Buches geht es darum, die Notwendigkeit von Entspannungsmethoden für Kinder und Jugendliche aufzuzeigen. Teil 2 behandelt die Grundlagen der Stressbewältigung bei Kindern und Jugendlichen. Im dritten und vierten Teil geht es darum die Wirkung von Yoga für Kinder und Jugendliche wissenschaftlich zu belegen. Der letzte Teil des Buches evaluiert verschiedene in Deutschland existierende Programme und gibt einen Einblick in die weltweite Forschung zum Yoga mit Kindern und Jugendlichen.
Dieses Buch soll allen Yogapraktikern, die mit Kindern arbeiten, helfen, ihre Arbeit wissenschaftlich begründen und strukturieren zu können. Das bedeutet, es wird eine Balance zwischen Theorie und Praxis angestrebt, um die öffentliche Akzeptanz von Kinderyoga zu optimieren. (Stück, Seite 10)
Die Notwendigkeit von Yoga mit Kindern und Jugendlichen.
Im ersten Kapitel des Buches betrachtet Marcus Stück die Notwendigkeit von Stressbewältigungsmethoden und -programmen für Kinder und Jugendliche und untermauert dies mit entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungen.
Kinder und Jugendliche werden in ihrem Alltag mit einer Vielzahl von Anforderungen konfrontiert, die sich aus dem schulischen Bereich, dem Elternhaus, der sozialen Entwicklung, aber auch durch Leistungsdruck und die Lebensphase der Pubertät ergeben. Je nachdem wie Kinder und Jugendliche diese Stressfaktoren verarbeiten und bewältigen, hat einen entscheidenden Einfluss auf das Auftreten von Stress-Symptomen sowie die physische und psychische Gesundheit. Marcus Stück erläutert dies anhand von positiven und negativen Beanspruchungsfolgen. Diese Beanspruchungsfolgen lassen sich aber nicht nur in positiv oder negativ beschreiben, sondern auch auf verschiedenen Ebenen:
- Emotionale Beanspruchungsfolgen äußern sich in der Veränderung von Gefühlen und einer Überforderung im emotionalen Bereich und führen u.a. zu Ängstlichkeit oder Nervosität.
- Kognitive Beanspruchungsfolgen betreffen den Geist und die Gedanken (Wahrnehmung).
- Muskuläre Beanspruchungsfolgen sind Stressreaktionen, die sich in Muskelverspannungen bis hin zu chronischen Verspannungen äußern. Auch Spannungskopfschmerz ist hier ein Thema.
- Vegetative Beanspruchungsfolgen betreffen das komplette vegetative Nervensystem und die damit verbundenen Organe. Hier sind die „seelischen“ Bauchschmerzen, Schwindel oder auch Erschöpfung einzuordnen. An dieser Stelle weißt Marcus Stück darauf hin, dass bereits ein hoher Anteil von Kindern und Jugendlichen an diesen vegetativen Beanspruchungsfolgen durch Stressbelastung leiden.
- Beanspruchungen im Verhaltensbereich zeigen sich in Verhaltensauffälligkeiten oder sozialen Störungen.
Zu allen Beanspruchungsfolgen sind in dem Buch interessante und hilfreiche Studienergebnisse aus entsprechenden Studien mit Grundschülern und Jugendlichen zu finden, die dabei helfen können bedürfnisorientierte Yoga-Angebote für Kinder und Jugendliche aufzubauen.
Stück erkannte bereits 1994, dass diese Problematik (Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Stressfaktoren) nicht erst im Erwachsenenalter beginnt, sondern bereits im Kindes- und Jugendalter verwurzelt ist und Programme vor allem in diesem Zeitraum eingesetzt werden müssen, um eine präventive Wirkung zur Gesundheitsförderung zu erreichen. (Stück, Seite 11)
Wissenschaftliche Grundlagen zum Kinderyoga.
Es gibt zahlreiche Studien zu Autogenem Training (AT) und auch progressiver Muskelentspannung (PMR) bei Kindern, die deren positive Wirkung belegen. Dennoch werden diese Entspannungsverfahren den alterstypischen Bewegungsbedürfnissen von Kindern nicht gerecht. Beide Entspannungsverfahren sind eher passiv und nicht bewegungsorientiert und können so das Bewegungsbedürfniss von Kindern nicht berücksichtigen. Laut Marcus Stück ist Yoga hier die geeignetere Methode, die wesentlich besser die Bewegungsbedürfnisse von Kindern berücksichtig und auch spezielle didaktisch-methodische Merkmale aufweist, für die Kinder besonders offen sind.
Der bekannte Yogaweg von Patanjali soll auch im Yoga mit Kindern und Jugendlichen als roter Übungsfaden dienen. Der Yogaweg wird von Patanjali als ein 8-gliedriger Pfad beschrieben:
- Stufe 1 – Yama
- Stufe 2 – Niyama
- Stufe 3 – Asana
- Stufe 4 – Pranayama
- Stufe 5 – Pratyahara
- Stufe 6 – Dharana
- Stufe 7 – Dhyana
- Stufe 8 – Samadhi
Eine Arbeitsgruppe an der Universität Leipzig, der auch Marcus Stück angehört, definierte einen Übungsweg für Kinder und Jugendliche auf der Grundlage von Patanjalis Arbeit. Hiernach soll der Übungsweg für Kinder und Jugendliche durch eine kreative und spielerische Umsetzung vorallem die Stufen 1 bis 6 vermitteln. Für Kinder werden die ersten 3 Stufen empfohlen (Yama, Niyama und Asana), bei Schulkindern zusätzlich die Stufe 4 Pranayama und erste Schritte im Zusammenhang mit der Mediation. Die Hatha Yoga Pradipika, eine der traditionellen Schriften zum Hatha Yoga, bezeichnet Marcus Stück als besonders gute Grundlage von Yoga-Übungen für Kinder und Jugendliche. Zudem gibt er in seinem Buch übungsmethodische Hinweise für den Yogaunterricht mit Kindern. Besonders interessant ist es hier, dass er ausdrücklich darauf hinweist, dass die Gruppe der übenden Kinder unbedingt zusammenpassen muss (Harmonie-Aspekt) und es auch sein kann, sollte der Harmonie-Aspekt nicht erfüllt sein, dass es sinnvoll ist, Gruppen zu teilen.
Zur Stufe 4 – Pranayama gibt Marcus Stück in dem Buch sehr interessante Empfehlungen und Übungshinweise, welche Atem-Übungen aus wissenschaftlicher Sicht für Kinder sinnvoll sind oder warum nicht mit einer Atempause (Kumbhaka) geübt werden sollte. Ausführlich beschreibt er zudem, dass das positive Denken möglichst frühzeitig mit Kindern reflektiert und geübt werden sollte. Auch geht er der Frage nach, was bei der Meditation mit Kindern zu beachten ist.
Es lässt sich anhand der Befunde zu den langfristigen Entspannungswirkungen zweifelsfrei nachweisen, dass sich die Auffassung, wonach Yoga als Entspannungsmethode nutzbar ist, als richtig erwiesen hat. Das Yoga neben Entspannungswirkungen mehr zu leisten vermag, machen die Untersuchungen deutlich. (Stück, Seite 29)
In dem Buch wird auch das Thema „Ziele eines Kinderyogakurses“ angesprochen, was für mich ein extrem wichtiges Thema ist. Was möchte ich mit den teilenehmende Kinder im Kurs erreichen? Wo möchte ich nach x Wochen eine Verbesserung feststellen? Diese Fragen dienen zum einen der kritischen Betrachtung der eigenen Unterrichtsmethode, schaffen aber auch Transparenz gegenüber Eltern oder Lehrern.
Jeder Kinderyogalehrer sollte sich vor der Absolvierung eines Kinderyogakurses Ziele stellen, die er erreichen möchte. (Stück, Seite 64)
Dieses Buch von Marcus Stück ist für mich eine Pflichtlektüre und sollte jede Kinderyogalehrerin gelesen und verinnerlicht haben. Zudem sind die in dem Buch zusammengetragenen Forschungs- und Studienergebnisse zu Yoga mit Kindern und Jugendlichen eine wertvolle Hilfe, um ein bedürfnissorientiertes Yoga-Angebot aufzubauen und die Wirkungen von Yoga professionell und fundiert zu kommunizieren.
Neben der Dissertation von Marcus Stück, gibt es aktuell lediglich 2 weitere deutsche Dissertationen zum Thema Kinderyoga:
- Stueck, Marcus (1997). Entwicklung und Evaluation eines Entspannungstrainings mit Yogaelementen für Mittelschüler als Bewältigungshilfe für Belastungen. Dissertation. Fakultät für Biowissenschaften der Universität Leipzig.
- Augstein, Suzanne (2002). Auswirkungen eines Kurzzeitprogramms mit Yogaübungen auf die Konzentrationsleistung bei Grundschulkindern. Dissertation. Fachbereich 2 (Erziehungswissenschaft, Psychologie, Sport- und Bewegungswissenschaften). Universität – Gesamthochschule – Essen. Zum Download.
- Goldstein, Nicole (2002). Körperzentrierte Übungen des klassischen Hatha-Yogas als Therapiekonzept bei Kindern mit expansiven Störungen*. Erziehungswissenschaften. Pädagogische Psychologie. Pädagogische Hochschule Heidelberg. Zum Download.
*Expansive Störungen = Hyperkinetische Störungen mit und ohne Störung des Sozialverhaltens, Aufmerksamkeitsdefizitstörungen mit und ohne Hyperaktivität.
Die Inhalte der 3 Dissertationen werden in den Buch kurz und verständlich vorgestellt.
Buch-Informationen.
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